Gegen eine Filterung des Internets nach chinesischem Vorbild
Circa 200 Menschen demonstrierten am vergangenen Sonntag in Prag gegen die geplante EU-Novelle. Der Protest war Teil eines europaweiten Aktionstages gegen Zensur im Internet
Demonstration in Prag gegen EU-Gesetzesnovelle. "Rettet Euer Internet" steht auf dem Plakat.
Circa 200 Menschen haben am gestrigen Sonntag, den 26.08.2018, die Demonstrationsveranstaltung am Palackého Náměstí in Prag zwischen 16 Uhr bis 18 Uhr abwechselnd besucht. Gegenstand der Demonstration war der geplante Upload-Filter, mit dem das automatische Filtern und Aussortieren von Dateien im Internet möglich sein soll. Ein denkbares Anwendungsgebiet sollen beispielsweise Uploads bei Youtube oder Facebook sein, die vor dem Hochladen automatisch auf Urheberrechtsverstöße durchleuchtet und dann ggf. abgelehnt werden. Der Upload-Filter soll auch für zahlreiche weitere Portale gelten. Denkbar wäre auch eine Ausweitung des Filters für alle Webhoster und Anbieter von virtuellen und Root-Servern. Ein weiterer Grund für die Versammlung war der Protest gegen das geplante EU-weite Leistungsschutzrecht, das vorsieht, dass Webseitenbetreiber, die Kurzinhalte von Online-Zeitungen auf ihrer Webseite wiedergeben bzw. diese mit der Originalseite verlinken und somit eine Presseschau erstellen, an die Verlage Abgaben abführen sollen. Kurz gesagt: Links und Zitate im Internet sollen in Zukunft den Verlegern Geld bringen.
Foto: K. Kountouroyanis Der Vorsitzende der Pirátská strana (Piratenpartei Tschechiens), PhDr. Ivan Bartoš, Ph.D., weiß wovon er spricht. Er studierte selbst Informatik an der Karls-Universität und schloss das Studium mit einer Promotion ab.
Die Veranstaltung war Teil einer EU-weiten Demonstration, die gestern in verschiedenen Städten Europas stattfand und zu der Julia Reda (Mitglied der Piratenpartei Deutschlands und des Europäischen Parlaments) auf ihrer Internetseite aufrief. Zu der Demonstration in Prag hatte die Pirátská strana, die tschechische Piratenpartei, aufgerufen. Deren Vorsitzender PhDr. Ivan Bartoš, Ph.D. Informatik an der Karls-Universität Prag studiert hat und 2005 das Studium mit einer Promotion abschloss. Wir haben die Gelegenheit auf der Veranstaltung ergriffen und ihn zu einer kurzen Stellungnahme gebeten.
KK: „Glauben Sie, dass Upload-Filter und Leistungsschutzrecht die großen Monopolisten, insbesondere hier in Tschechien mit Blick auf die Medienkonzentration durch Andrej Babiš, die Pressefreiheit in Zukunft einschränken könnten?“
Ivan Bartoš : „Wir sind froh, dass wir immer noch eine Pressefreiheit haben, obwohl die meisten Medien dem Premierminister gehören. Doch die Sache ist aber die, dass – vorausgesetzt das Gesetz zum Leistungsschutzrecht würde im EU-Parlament eine Mehrheit finden – die großen Konzerne wie Google & Co entweder diese Abgaben bezahlen könnten oder irgendeine andere Vereinbarung mit den Verlagen treffen würden. Aber die Kleinverlage und Webseitenbetreiber werden das eben nicht können. Das Gesetz würde also indirekt Google und die Großverlage stärken. Das würde ein weiteres Sterben der Kleinverlage, die z. B. Newsfeeds produzieren, bedeuten. Nur den Link zu einem Content zu setzen, bedeutet noch lange nicht, den Content genutzt oder einen Urheberrechtsverstoß begangen zu haben.
Außerdem könnte, und das ist das größte Problem, ein automatischer Upload-Filter dazu führen, fälschlicherweise Inhalte auf eine Blacklist zu setzen. Wir haben dies erst kürzlich bei Julia Reda gesehen, die Mitglied des Europäischen Parlaments und der deutschen Piratenpartei ist, als ihre Aktionsseite fälschlich als Spam deklariert wurde und somit aus dem Index verschwand.“
Foto: K. Kountouroyanis Der Arzt Dr. Zdeněk Hřib wird als Kandidat für das Amt des Prager Bürgermeisters gehandelt.
Als Kandidat für das Amt des Prager Bürgermeisters wird derzeit der Arzt Dr. Zdeněk Hřib gehandelt. Er ist auch Mitglied der tschechischen Piratenpartei „Pirátská strana“ und war ebenfalls gestern bei der Demonstration mit einem eigenen Aktionszelt anwesend. Von 1999 bis 2006 absolvierte er das Studium der Allgemeinmedizin an der 3. Medizinischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag und absolvierte während dieser Zeit sein Auslandspraktikum in Taiwan. 2008 arbeitete er als Leiter der Informatik am staatlichen Institut für Arzneimittelkontrolle und absolvierte ein Praktikum bei der National Patient Safety Agency in London. Sein Büro ist nur ein Steinwurf vom Palackého Náměstí entfernt und so fanden wir im Anschluss an die Demo Gelegenheit mit ihm zu diskutieren. Der Originalton (auf Englisch) kann unter diesem Artikel abgerufen werden.
KK: „Dr. Zdeněk Hřib! Was bedeuten das geplante Leistungsschutzrecht und die Upload-Filter für die Internetmedien im Allgemeinen?“
Dr. Zdeněk Hřib: „Definitiv geht es um ein Gesetz, dass das Internet in der Form verändern wird, wie wir es bislang kennen. Wenn es ein automatisches Zensursystem gibt, wie jenes, dass im geplanten Gesetz anvisiert wird, wird die bisherige Form des Internets hinfällig. Das Gesetz würde sich nicht nur auf die User auswirken, - z. B. wenn Sie eine Datei hochladen, die dann automatisch als urheberrechtlich geschützt deklariert würde – sondern auch auf die Wirtschaft. Nur die großen Firmen, wie Google oder Facebook, hätten die finanziellen Kapazitäten für diese Filter, die nach dem Prinzip der künstlichen Intelligenz arbeiten. Kleinere Firmen könnten sich das gar nicht leisten. Das wäre also eine denkbare Auswirkung auf die Wirtschaft. Auch das zweite Gesetz könnte Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Z. B. wenn Sie Betreiber einer kleinen Suchmaschine sind. Wir hier in Tschechien nutzen hauptsächlich www.seznam.cz anstelle von Google. Was ich sagen will ist, dass nicht jeder Suchmaschinenbetreiber so finanzmächtig wie Google ist und die kleinen durch das neue Gesetz damit auf der Strecke bleiben.
Ehrlich gesagt, verstehe ich aber auch nicht die Verlagshäuser. Wenn sie gegen das Teilen ihrer Webseiteninhalte sind, warum unterbinden sie das einfach nicht selbst durch ein entsprechendes „Disallow“ für die Crawler? Warum unterbinden sie nicht das Einbinden von Snippets von ihren Webseiten durch entsprechendes Coding? Und warum setzen sie die Facebook-Teilen-Button dann gleich neben ihre Artikel, mit denen sie das Teilen doch bewerben, wenngleich sie es doch gar nicht wollen? Das ist für mich sehr befremdlich. Einerseits unterstützen sie das aktuelle System des Teilens von Inhalten, andererseits fördern sie die geplante Gesetzesnovelle, mit der das freie Teilen verboten werden soll.“
Foto: K. Kountouroyanis Fahnenschwenken für die Freiheit.
Viele Demonstranten sahen das im Gespräch ähnlich. Andere nutzten aber die Demonstration auch dazu, um auf weitere Probleme aufmerksam zu machen, wie den Artikel 13 der auch in Deutschland stark kritisierten DSGVO. Auch in Tschechien mussten aufgrund der GDPR, wie hierzulande die europäische Datenschutzgrundverordnung genannt wird, zahlreiche Internetseiten schließen. Darunter Ferienhausbesitzer, Urlaubs- und Blogseiten zu Tourismusthemen sowie auch das Angebot des tschechischen Suchmaschinenbetreibers Seznam „Spolužáci.cz“. Prag Aktuell berichtete. Die Demonstranten befanden auf ihren Protestplakaten, dass der Artikel 13 der DSGVO ein Eingriff in die künstlerische Freiheit sei.
Am 12. September sollen die EU-Parlamentarier darüber abstimmen, wie es mit dem Gesetzesvorschlag von Axel Voss, von der bundesdeutschen CDU, der den sog. "Kompromissvorschlag" zur Urheberrechtsreform in das EU-Parlament einbrachte, weitergehen soll. Die CDU (Christlich-Soziale Union) gehört zum konservativen Flügel der deutschen Parteienlandschaft, deren Vorsitzende Kanzlerin Angela Merkel ist. Die Frist für Änderungsanträge läuft bis zum 5. September.
Prag, 27.08.2018
Konstantin John Kowalewski
Interview (Deutsch) mit Demonstrantin gegen das geplante Gesetz zu Upload-Filtern und Leistungsschutzrecht. (54 Sekunden).
Interview (Englisch) mit Dr. Zdeněk Hřib, Kandidat der tschechischen Piraten und Kandidat für das Amt des Prager Bürgermeisters
Die Gemeinde zählt etwa 140 deutschsprachige Mitglieder unterschiedlicher Nationalitäten und Bekenntnisse, die zeitweise oder dauerhaft in Prag leben. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten ist die Arbeit mit Familien und Kindern. Die Gottesdienste finden sonntags in der Kirche St. Martin in der Mauer statt.
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