Das Jahr 2018 ist ein ganz besonderes. Ich weiß, woran Sie denken; und doch ist es nicht nur ein besonderes Jahr, weil sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal jährt, sondern auch die Staatsgründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik sowie auch der Todestag von Frank Wedekind, der bereits am 9. März dieses Jahres war. Die Theaterstücke Frank Wedekinds, der am 24. Juli 1864 in Hannover zur Welt kam, stehen für viele Konflikte in ganz unterschiedlichen Epochen vom politischen Protest über Generationskonflikte, der freien Liebe bis zur klaren antipreußischen Gesellschaftskritik. Sein Vater, der ihn voller Begeisterung auf den Namen des US-amerikanischen Präsidenten Benjamin Franklin taufen ließ, wanderte aus Ernüchterung über den Ausgang der Revolution von 1848 und die damit verbundene „Restaurierung“ in die USA aus, kehrte aber bald wieder zurück – ausgerechnet nach Hannover, das nach 1867 preußisch wurde. 1871, nach Bismarcks Reichsgründung, wanderte die Familie in die Schweiz aus.
Frank Wedekinds Werdegang sollte ebenfalls von vielen Brüchen und Rissen gekennzeichnet sein. Nach seinem Studium – er studierte zuerst deutsche und französische Literatur, dann Jura – schrieb er für die Neue Zürcher Zeitung und zählte 1896 zu den Mitbegründern der Satirezeitschrift Simplicissimus, in der so namenhafte Autoren publizierten wie Kurt Tucholsky, Paul Schondorff und Bruno Frank, um nur einige zu nennen. 1934 und 1935 erschien in Prag die Emigrationsausgabe, in der Stadt, in der 1968 der Prager Frühling mit dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen niedergeschlagen wurde. Auch dieses Datum jährt sich in diesem Jahr.
Dieser kurze Abriss zeigt, wie Wedekinds Biografie und Werke von den politischen und gesellschaftlichen Kämpfen seiner Zeit bestimmt wurden. Kämpfe, die zwischen den Machthabern und den Individuen, aber auch zwischen den Individuen und einer konformen Gesellschaft ausgetragen wurden. Ein endloses Thema, das in Wedekinds Werken immer wieder auftaucht, so auch in „Frühlings Erwachen“, das 1891 als gesellschaftskritisches, mit satirisch-bissigen Elementen versehenes Drama erschien und erst am 20. November 1906 an den Berliner Kammerspielen unter der Regie von Max Reinhardt und Hermann Bahr uraufgeführt wurde.
Am vergangenen Dienstag, dem 15.05.2018, wurde das Theaterstück nach einer achtmonatigen Probezeit von dem deutsch-tschechisch-slowakisch-polnischen Ensemble „Dreikronentruppe“ unter der Leitung des DAAD-Lektors Thomas Schneider im Goethe-Institut Prag aufgeführt. Die Proben zu dem Stück und die Aufführung wurden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanziell gefördert. Das Stück ist das Ergebnis eines Theaterseminars am Institut für germanische Studien der Karls-Universität Prag. Der Theatersaal im Goethe-Institut war voll besetzt. Zahlreiche Gäste kamen aus Prag sowie weiteren Städten Tschechiens, Österreichs und Deutschlands.
Thomas Schneider erklärte dazu:
„In dem Projekt versuchen die Studierenden, sich dem tragischen Gehalt des Geschehens zu nähern, ohne die Handlung auf die heute übliche Weise zu modernisieren. Kreisend um die Frage, ‚wozu wir eigentlich auf der Welt sind‘, bewähren das Stück, seine Figuren und seine Sprache ihre ungebrochene Aktualität.“
Sprachstil und Ausdruck orientieren sich daher stark an der Wedekindschen Fassung. Das Stück erzählt die Geschichte einer Gruppe Jugendlicher, die während ihrer pubertären Phase und des damit verbundenen sexuellen Erwachens, mit den Phänomenen der psychischen Instabilität und der gesellschaftlichen Tabus konfrontiert sind. Dass das Stück stark autobiografisch gefärbt ist, zeigt der Hinweis auf die Figur des „Moritz Stiefel“, für den zwei ehemalige Mitschüler Frank Wedekinds, nämlich Frank Oberlin und Moritz Dürr, als Vorlage dienten. Beide begingen 1883 und 1885 Selbstmord. Dürr hatte zuvor Wedekind von seinem Suizid-Vorhaben berichtet.
Das Publikum war sowohl von der Art der Inszenierung des Stückes, den Brechtschen Verfremdungseffekten und der damit verbundenen Kritik am traditionellen Illusionstheater, als auch von den enorm eindrucksvollen schauspielerischen Leistungen der Gruppe begeistert. Ein langer Applaus und interessante Diskussionen mit den Darstellern bei Wein und Käse ließen den Abend ausklingen. Für den Herbst 2018 sind weitere Aufführungen in Prag und Leipzig geplant.
Prag, den 20.05.2018
Konstantin Kountouroyanis
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