Die deutschsprachige Literatur in den böhmischen Ländern ist von zahlreichen literarischen Akteuren geprägt, die zwischen der deutschen und der tschechischen Kultur vermittelten, übersetzten, auf Deutsch oder auch auf Tschechisch schrieben und oft auch in beiden Sprachen beheimatet waren, wie u. a. die Übersetzer und Autoren Rudolf Fuchs und Friedrich Adler oder der Prager Schriftsteller, Theater- und Kunstkritiker Max Brod. Aber auch andere Autoren, die ihre biografischen Wurzeln außerhalb Prags hatten, wie der jung verstorbene Karl Brand oder auch Ottokar Stauf, der im mährisch-schlesischen Dialekt schrieb, prägten die literarische Landschaft Böhmens und Mährens vor dem ersten Weltkrieg und auch in den Jahren zwischen 1918 - 1938. Dabei war das Verhältnis zwischen der tschechisch- und deutschsprachigen Bevölkerung nicht immer einfach, wie der Germanist und Literaturhistoriker Prof. Dr. Kurt Krolop am eigenen Leib erfahren hat. Der gebürtige Kravařer wurde zweimal aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und wurde dennoch endlich 1990 Prof. an der Karls-Universität Prag. Am 25. Mai diesen Jahres wird er 85 Jahre alt. Grund genug, einen Blick auf das Lebenswerk eines Mitteleuropäers zu werfen, der Böhmen und Prag im Wandel einer wechselvollen Geschichte erlebt hat.
Kindheit, Jugend, Vertreibung
Kurt Krolop, der 1930 im nordböhmischen Graber/Kravaře v Čechách geboren wurde, besuchte von 1941 bis 1945 die Oberschule für Jungen in Leitmeritz/Litoměřice. Doch für Sudetendeutsche wurden die Verhältnisse in der neu gegründeten Tschechoslowakei nach 1945 kompliziert und so musste die Familie im Sommer 1946 in die damalige sowjetische Besatzungszone und spätere DDR "übersiedeln"; eine Umschreibung für ein historisches Ereignis, das heute in der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung "Vertreibung" und in Tschechien "odsun" (dt. Abschiebung/Aussiedlung) genannt wird.
Der „Prager Frühling“ und die „Normalisierung“
4 Jahre später - 1950 - legte Kurt Krolop die Abiturprüfung an der Willy-Lohmann-Oberschule in Köthen (Sachsen-Anhalt) ab. Krolop studierte anschließend von 1950 - 1954 Germanistik, Anglistik und Slawistik an der Martin-Luther-Universität zu Halle an der Saale. Von 1957 - 1962 war er als Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Karls-Universität Prag tätig. Als Gast nahm er an der Kafka-Konferenz auf Schloss Liblice 1963 teil, die später in die Geschichtsbücher als ein Markstein vor dem „Prager Frühling“ einging; er hielt dann eines der Hauptreferate auf der Nachfolgekonferenz 1965. 1968 wurde er - vor allem aufgrund seiner beeindruckenden Studien zu diesem Themenfeld in der von Eduard Goldstücker herausgegebenen Fachzeitschrift: „Germanistica Pragensia“ - zum Leiter der Forschungsstelle für Prager deutsche Literatur der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften berufen. Doch was nach einer akademischen Erfolgsstory klingt, sollte nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen und der Niederschlagung des Prager Frühlings ein jähes Ende nehmen. Die Forschungsstelle wurde 1969 im Rahmen der sog. „Normalisierung“ aufgelöst und Kurt Krolop wurde mitsamt seiner Familie in die DDR ausgewiesen. Erst die politische „Wende“ 1989 in der DDR und die „Samtene Revolution“ in der ČSSR ermöglichte ihm die Rückkehr nach Prag. Inzwischen zum Professor ernannt, kehrte Kurt Krolop 1990 an die Karls-Universität zurück und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000.
Späte Ehrungen
Inzwischen stehen Kurt Krolops Verdienste um die tschechische Germanistik außer Frage, und Kurt Krolop ist heute Mitglied in zahlreichen Akademien und Gesellschaften. Seit 1990 ist er korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wilhelm Hartl-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1996), weiterhin u. a. in der Deutschen Schillergesellschaft, der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste (Kulturpreis 1994), im Collegium Carolinum in München sowie Präsident der Prager Kafka-Gesellschaft. Seit 1999 ist Professor Kurt Krolop zudem Ehrenvorsitzender der Goethe-Gesellschaft in der Tschechischen Republik. In Tschechien wurde er 2005 mit der Verleihung der Gedenkmedaille der Karls-Universität geehrt. Seine Arbeiten liegen zum Teil auch in tschechischer Übersetzung vor. Im April 2007 wurde ihm in der Deutschen Botschaft Prag das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. 2008 ehrte ihn die Republik Österreich mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.
Eine neue Forschungsstelle am Beginn des 21. Jahrhunderts
Am 29. Mai wird in der deutschen Botschaft Prag die neue Forschungsstelle für deutsch-böhmische Literatur an der Karls-Universität Prag eingeweiht, die Kurt Krolops Lebenswerk zu Ehren Kurt Krolop Forschungsstelle heißen wird. Einen ganzen Tag lang werden KollegInnen, WeggefährtInnen und namhafte Wissenschaftler ihn feiern und ehren. Unter den 60 Gästen wird natürlich Prof. Dr. Krolop als Ehrengast anwesend sein. Leiter der Forschungsstelle ist Prof. Dr. Manfred Weinberg, beteiligte WissenschaftlerInnen sind Mag. Julia Hadwiger, PhDr.Vaclav Petrbok, Ph.D., Prof. Doc. PhDr. Milan Tvrdík, CSc. und Štěpán Zbytovský, Ph.D.
Konstantin Kountouroyanis