Der Autor

Gert Loschütz wurde als "der David Lynch unter Deutschlands Romanautoren" bezeichnet, viele seiner Texte thematisieren das Unheimliche. Er wird aus seinem hoch geschätzten Roman Dunkle Gesellschaft lesen, für den er 2005 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gewählt wurde. Er ist auch Verfasser von zahlreichen Theaterstücken, Hörspielen und Fernsehspielen.

Gert Loschütz wurde 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt) geboren, 1957 übersiedelte die Familie nach Hessen. 1968 wurde er zur Tagung der Gruppe 47 auf Schloss Dobříš eingeladen, die jedoch wegen des Einmarschs der Truppen des Warschauer Paktes nicht stattfinden konnte. Gert Loschütz lebt in Berlin.

​Im November 2016 ist er Stipendiat des Prager Literaturhauses.

 

 

Bildnachweis:
Björn Steinz

Blog

| Gert Loschütz | 22.11.2016

21. November 2016

14.

Unterwegs zur Lesung im Literaturhaus überlege ich, wo am Karlsplatz das Krankenhaus stand, zu dem Jiri Orten gebracht wurde. Und während ich noch darüber nachdenke, sehe ich an der Ecke Resslova/Karlsplatz einen Mann auf der Straße liegen, in stabiler Seitenlage, wie man sagt, reglos, während das Rad, mit dem er unterwegs war, ein paar Meter weiter liegt. Der Kofferraum des Autos, das ihn gerammt hat (und das ein wenig schräg zur Straße steht), ist geöffnet, auf dem Bürgersteig im Halbkreise die Gaffer.

         Später, auf dem Rückweg mit C., erwähne ich zwar den Unfall, vergesse aber, wie ich es vorhatte, nach Orten und dem Krankenhaus zu fragen. Nach der Lesung hatte er, mit diesem Grienen in den Augenwinkeln, gesagt: Aber Sie beschreiben ja nur, es gibt ja gar keine Dialoge. Das mag ich nicht. Ich mag nur Texte mit Dialogen, in denen es schnell geht, kurz und hart wie bei Hemingway.

 Die Leute, die bei der Lesung waren, konnte man, rechnet man die im Haus Beschäftigten ab, leicht an einer Hand abzählen. Als ich im Gespräch halb im Spaß sagte, Prag sei die Stadt der Fensterstürze, stieß ich auf Unverständnis: Wieso Fensterstürze? Ich fühlte mich bemüßigt, neben den historischen auch den von Jan Masaryk zu erwähnen, der aber als Selbstmord abgetan wurde. Da ich die genaue Darstellung des SPIEGEL in Erinnerung hatte, widersprach ich, worauf der Direktor zurückgab: War der SPIEGEL dabei? Als er mir den Mantel brachte, kam er noch mal darauf zurück: Hier sprängen die Selbstmörder nicht aus dem Fenster, sondern von einer Brücke, nein, nicht in die Moldau, wie ich annahm, sondern von einer Landbrücke, der zwischen den Stadtteilen Pankrác und Vinohrady. Wieder (während er sprach) der Gedanke an Zorka Janu, die sich selbst aus dem Fenster gestürzt hatte .

         C. hatte schon seine Jacke an und winkte: Nun kommen Sie.

 

Am nächsten Tag mit der Zweiundzwanzig nach Vinohrady, es ist das Nusle-Tal, über das sich die knapp 500 Meter lange und rund 40 Meter hohe Brücke zieht, die 1973 als Klement-Gottwald-Brücke in Betrieb genommen und nach der Wende in Nuselsky most umbenannt wurde. Die Schätzung besagt, dass zwischen zwei- und dreihundert Menschen von ihr in den Tod gesprungen sind. Unten, zwischen den mächtigen Pfeilern, eine zum Schwanenhals gebogene Laterne, deren Leuchtkopf nicht nach unten, sondern nach oben zeigt, zum Brückengeländer und, daran vorbei, zum Himmel.

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