Der Autor

Gert Loschütz wurde als "der David Lynch unter Deutschlands Romanautoren" bezeichnet, viele seiner Texte thematisieren das Unheimliche. Er wird aus seinem hoch geschätzten Roman Dunkle Gesellschaft lesen, für den er 2005 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises gewählt wurde. Er ist auch Verfasser von zahlreichen Theaterstücken, Hörspielen und Fernsehspielen.

Gert Loschütz wurde 1946 in Genthin (Sachsen-Anhalt) geboren, 1957 übersiedelte die Familie nach Hessen. 1968 wurde er zur Tagung der Gruppe 47 auf Schloss Dobříš eingeladen, die jedoch wegen des Einmarschs der Truppen des Warschauer Paktes nicht stattfinden konnte. Gert Loschütz lebt in Berlin.

​Im November 2016 ist er Stipendiat des Prager Literaturhauses.

 

 

Bildnachweis:
Björn Steinz

Blog

| Gert Loschütz | 21.11.2016

20. November 2016

13.

Gestern den ganzen Tag Regen, und heute Sonne, weshalb so viele Menschen unterwegs sind, dass man zu Hause bleiben möchte.

         Mit C. verabredet, am späten Nachmittag klingelt er an der Haustür. Wir gehen auf der Uferstraße zum Národní dívadlo, dem Nationaltheater, das vielleicht fünf Minuten entfernt liegt, und steigen, auf seinen Vorschlag hin, in die Siebzehn, die uns nach Holesovice bringt, wo er mir den im Stil des Funktionalismus erbauten Messepalast zeigt, in dem heute das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst untergebracht ist. Er zieht mich in eine Ausstellung junger Künstlern, die eine Art Wettbewerb darstellt, bei dem keiner/keine älter als 35 sein darf, aber - trotz der Unterschiedlichkeit der Objekte - erscheint mir (und wohl auch ihm) alles auf eine traurige Weise steril, so dass wir bald wieder gehen. Draußen, nun schon fast in der Dunkelheit, über den Hausdächern schwebend die filigrane Uhr der alten Jugendstilhalle. Mit der Siebzehn zurück.

 

Später, da wir weder im Slavia noch in dem von Studenten besuchten Café des Nationaltheaters einen freien Tisch gefunden haben, sitzen wir in einer mit Fotos von Jaroslav Seiffert bestückten Fensternische des Narodny kavarna. Gespräch über Lída Baarová und ihre Schwester Zorka Janu, die sich aus dem Fenster ihres Hauses in Hanspaulka gestürzt hat. In einem langen Interview, das zu Beginn der Neunziger in ihrer Salzburger Wohnung aufgezeichnet wurde, schildert die Baarová Goebbels als einen höflichen Mann, der zwar in sie verliebt war, ihr aber nie zu nahe getreten sei. Da sie bald achtzig war, gab es keinen Grund, warum sie lügen sollte. Und wenn sie es doch tat, die Beziehung also nicht bloß platonisch war, bleibt die Tatsache, dass die Liaison schon 1938 wieder zu Ende war, zu einer Zeit, in der die Nazis noch nicht als die Mörderbande galten, die sie tatsächlich waren. Die Geschichte der Baarová ist die von der Verderben bringenden Gunst der Mächtigen. Wenn sie dir ihre Liebe antragen, musst du sofort die Flucht ergreifen, deinetwegen, aber auch zum Schutz der dir Nächsten. Zorka Janu wurde, als Lida ins Gefängnis gesteckt wurde, gleichsam in Sippenhaft genommen und mit Auftrittsverbot belegt. Sie beging Selbstmord, weil man ihr bedeutete, dass sie, die Schwester des Naziliebchens, nie wieder spielen dürfe, weder im Theater noch beim Film … die Mutter der beiden starb beim Verhör, zu dem sie bestellt worden war, an einem Herzinfarkt, und ihr Vater ... Weg, sofort weg, wenn die Mächtigen nach dir rufen!

 

Wieder auf der Straße, zeigt C. zu dem von Säulen eingefassten Balkon eines prächtigen Gebäudes hinauf, in dem heute die Akademie der Wissenschaften untergebracht ist, und sagt: Da oben habe er als Kind gestanden und den Trauerzug beobachtet, in dem der Sarg Masaryks von der Burg zum Bahnhof geleitet wurde. Der Zug kam über die Brücke und führte, am Nationaltheater und dem Slavia vorbei, die Narodni trida hoch.

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