prag aktuellprag aktuell | Rubrik: Kultur, Musik | 27.1.2020
Einspielung der Kompositionen von ermordeten Musikern erinnert an den Holocaust / Von Michael Magercord

Prag - Fünfundsiebzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz können nur wenige Zeitzeugen den Nachgeborenen von ihren Erlebnissen berichten. Wohl bald schon muss die Erinnerung vor allem über das Studieren von Quellen und Aufzeichnungen aufrechterhalten werden. Es gibt allerdings Zeugnisse der bedrückenden Zeit, die immer wieder zum Leben erweckt werden können. Jedes Mal erzählen sie dann auf neue Weise von den Menschen, die sie einst geschaffen haben, und ihren Empfindungen, als sie sie schufen: Es ist die Musik von jüdischen Komponisten, die ihre letzten Lebensjahre in Theresienstadt verbringen mussten, bevor sie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden.

Einige ihrer Werke, die im KZ Theresienstadt, das von den Nazis verharmlost als Getto bezeichnet wurde, entstanden sind, wurden uns überliefert und werden immer einmal wieder neu eingespielt und somit uns aufs Neue zugänglich gemacht. Und da es vor allem böhmische Komponisten waren, die dieses Schicksal ereignete, liegt es nahe, dass sich tschechische Musiker verstärkt mit ihrer Musik befassen.

Einen Anfang machte schon vor vielen Jahren das engagierte und rührige Kammerensemble Variace um die Musikerfamilie Jouza, die – Geige und Oboe – bereits in der zweiten Generation in der Tschechischen Philharmonie und dem Prager FOK tätig sind. Besonders eindrucksvoll war ihre lyrisch überzeugende Einspielung des 3. Streichquartetts von Viktor Ullmann, das nur wenige Monate nach seiner Deportation nach Theresienstadt im September 1942 dort uraufgeführt wurde. Zudem erweckten sie Ullmanns Lieder der Tröstung zum Leben. Die Mezzosopranistin Olga Černa sang die kurzen, eindrücklichen Vertonungen von Gedichten Albert Steffens und Georg Trakls ein. Schon einige Jahre zuvor hatte sie mit einer Solo-CD zusammen mit dem Pianisten František Kůda die Lieder von Ervín Schulhoff dem Vergessen entrissen, der bereits 1942 im Internierungslager Wülsburg der Tuberkulose erlegen war.

Ein weiteres Zeugnis aus Theresienstadt ist die Kinderoper Brundibár von Hans Krása aus dem Jahr 1938, die im KZ uraufgeführt und dann 55-mal mit Kindern für Kinder auf die Bühne gebracht wurde, um ihnen wenigstens ein bisschen heile Welt zu vergönnen. Eine schon ältere, durch ihre kinderhafte Unmittelbarkeit beeindruckende Einspielung mit den Jugendchor des Slowenischen Rundfunks liegt im Hamburger Label Hommage vor.

Die kammermusikalischen Werke des Janáček-Schülers Pavel Haas, der wohl unter den jungen Komponisten in der Zwischenkriegszeit der bedeutendste und hoffnungsvollste war, wurden in den vergangenen Jahren schon häufiger wieder vorgelegt. Dem Ensemble Variace, das seine Suite für Oboe einspielte, folgte das nach dem Musiker benannte Pavel-Haas-Quartett mit zwei CDs, auf denen seine beiden Streichquartette zusammen mit Werken seines großen Lehrers fulminant interpretiert wurden.

Eine sehr engagierte Variante des 2. Streichquartetts von Pavel Haas bietet nun das Bennewitz-Quartett in seiner jüngsten CD, die den ermordeten Komponisten gewidmet ist. Krása ist mit einer Komposition darauf vertreten, die in Theresienstadt ihre Uraufführung erlebt hatte, und neben kurzen Tanzstücken von Schulhoff sticht die Neuaufnahme von Ullmanns 3. Streichquartett heraus – und es ist die wuchtige und direkte Art der Interpretation dieses Werkes aus dem Jahr 1943, die uns die Bedrückung der Umstände ihrer Entstehung, aber auch den Willen, ihnen etwas Lebenssinnliches entgegenzusetzen, auch heute noch nachspüren lassen. (mm)

 

Informationen, Hörbeispiele und Video des Bennewitz Quartetts unter:

www.supraphon.com/album/462251-ullmann-krasa-schulhoff-haas

Konzerthinweise Kammerensemble Variace:

www.ceskafilharmonie.cz/en/concert-detail/23737--chamber-ensemble-variat...

Bildnachweis:
Supraphon.com
Themen: Theresienstadt, Holocaust, Musikkritik, Holocaust-Gedenken
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