Der Autor

Janna Steenfatt wurde 1982 in Hamburg geboren und absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Sie erhielt mehrere Preise und Stipendien, so u.a. 2009 ein Aufenthaltsstipendium der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen, 2010 ein Aufenthaltsstipendium für das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, 2012 ein Werkstattstipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung, sowie den Limburg-Preis der Stadt Bad Dürkheim und zuletzt 2013 ein Aufenthaltsstipendium der GEDOK Schleswig-Holstein.

Sie schrieb Theaterstücke und Erzählungen, die in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden und arbeitet derzeit an ihrem ersten Roman.

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| Janna Steenfatt | 10.5.2013

10.5.

Mein Vater und seine Frau sind in der Stadt. Und schwups war ich doch auf der Karlsbrücke, im Veitsdom, im Gemeindehaus und am Altstädter Ring vor der astronomischen Uhr. Wenn man so wie ich schlecht vorbereitet und zudem zu faul ist, den Reiseführer zu bemühen, ist es eine gute Taktik, sich an Orten wie diesen durch die Menge zu drücken, bis man einen der Regenschirme, die hektisch in die Luft stechen und ihre Schäfchen zusammen zu halten versuchen, eine Sprache sprechen hört, die man versteht, um sich dann unauffällig unter die müden Reisenden zu mischen und zuzuhören.
Mein Vater und seine Frau bewohnen ein Zimmer im Grand Hotel Europa, dessen äußerer Prunk in einem Missverhältnis zur Ausstattung der Zimmer, der sanitären Anlagen und des Frühstücksbuffets steht, das unserer Familie sicher noch für längere Zeit ein Quell der Heiterkeit sein wird.

Mein Vater hat einen Reiseführer in dem steht: der Tscheche ist nicht freundlich.
Wer solchen Unfug schreibt, der ist wahrscheinlich den lieben langen Tag bloß Taxi gefahren oder hat im Café Slavia gespeist, wo der Großteil des Personals tatsächlich eine gewisse Griesgrämigkeit an den Tag legt – ausgenommen eines hrabalesken Kellners, der sich fortwährend verbeugt, jedes Wort wiederholt, es nie versäumt, darauf hinzuweisen, dass Service not included ist und mir das eine oder andere Mal Dinge auf die Rechnung schummelt, die ich nicht konsumiert habe.
Man sollte einmal in den frühen Morgenstunden, wenn die Touristen noch damit beschäftigt sind, ihren Rausch auszuschlafen, im Café Slavia im Fenster sitzen, denn nur um diese Zeit bekommt man dort einen Fensterplatz mit Moldaublick, am liebsten in der Ecke unter dem Bild des einsamen Trinkers und Bohumil Hrabals Ich habe den englischen König bedient lesen, während man von besagtem Kellner bedient wird, der trotz seiner Schlitzohrigkeit mein Lieblingskellner im Café Slavia ist.
Bei Hrabal habe ich so schöne Wörter wie Schabernak, Witwentröster oder Galanteriewaren wieder- und ein neues gefunden: Realitätenbesitzer.
Während ich darüber nachdenke, ob nicht ein Schriftsteller auch ein Realitätenbesitzer ist, oder im Gegenteil eben gerade nicht, lässt am Nebentisch ein türkischer Tourist den Salat zurück gehen, des Bacons wegen und mein Lieblingkellner ruft aus: but this bacon is chicken!

Ich würde sehr gern über Prag schreiben, eine Geschichte über das Hotel Europa beispielsweise. Eine Geschichte, die für das Hotel Europa wäre, was Ich habe den englischen König bedient für das Hotel de Paris ist. Aber ich habe es mir streng verboten, über Prag zu schreiben, weil ich einen Roman zu schreiben habe, der eines Tages einmal fertig werden sollte. Außerdem schreibe ich nie über die Orte, an denen ich gerade bin. Und so schaue ich auf die Moldau, während ich über die Elbe schreibe. Irgendwann werde ich an anderen Flüssen sitzen und über die Moldau schreiben, ganz bestimmt.
Als ich gestern im Literaturhaus vor einer norddeutschen Schulklasse einen Text las, der vom Meer handelt, sagte die Dame vom Literaturhaus: wir Tschechen haben ja kein Meer.
Da haben sie mir richtig leid getan, die armen Tschechen.
Wie kann man denn bloß kein Meer haben!
Und dabei sagen sie doch immer: Ahoi.

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